Freitag, 26. August 2011

Ursache und Wirkung oder: Sind Polizisten Wegelagerer?

Ich habe manchmal masochistische Anflüge. Ich führe gelegentlich gerne Diskussionen mit Freunden und Bekannte um ein Thema, bei dem ich erstens in der Regel als einziger eine andere Meinung als meine Gesprächspartner habe und ich zweitens diese Gesprächspartner so gut wie nie von meinem Standpunkt überzeugen kann.

Es geht um Geschwindigkeitskontrollen.

Und zwar bin ich dafür. Und ich bin dagegen, Polizisten oder Kommunen, die solche Kontrollen durchführen, als "Wegelagerer" zu beschimpfen. Das würde nämlich bedeuten, dass diese Polizisten oder Kommunen etwas Falsches oder Verwerfliches getan haben. Das haben sie nicht. Der Autofahrer war's.


Ich unterstelle mal gewagt, dass jeder, der einen Führerschein hat, lesen kann. Zumindest sollte er Zahlen lesen und erkennen können. Und damit sollte er auch wissen: Wenn am Straßenrand ein rundes Schild steht, das rot umrandet ist und wo in der Mitte eine große schwarze "5" und daneben eine "0" steht, dann bedeutet das, dass ab diesem Schild die Höchstgeschwindigkeit von "50" Kilometer pro Stunde gilt. So etwas lernt man unter anderem auch in der Fahrschule, die ja die Voraussetzung dafür ist, dass man einen Führerschein bekommt, mit dem man dann ein Auto fahren darf.

Im Auto wiederum gibt es vorne, meist hinter dem Lenker, ein rundes Instrument, auf dem sich ein Zeiger über ein Zifferblatt bewegt (das nennt man Tacho). Wenn dieser Zeiger nun auf die "50" auf dem Zifferblatt zeigt, bedeutet das, dass man "50" Stundenkilometer schnell fährt (auch das lernt man spätestens in der Fahrschule). Ist der Zeiger links davon, fährt man langsamer. Ist er rechts, ist man schneller. Passiert der zweite Fall, riskiert man, "geblitzt" zu werden - ganz einfach, weil man schneller gefahren ist als erlaubt. Und weil man sich eben nicht an die Regel gehalten hat, muss man die Folgen tragen.

So einfach sollte es sein. Ist es aber nicht. Denn wer geblitzt wird, sieht in der Regel nicht sein Fehlverhalten ein, sondern schimpft auf die "Blitzer", die es in einer Mischung aus Anmaßung, Geldgeilheit und Arroganz wagen, den Autofahrer wegen seiner Regelverletzung zur Rechenschaft zu ziehen.

Warum ist das so? Warum ist hier derjenige, der einen Regelverstoß verfolgt und ahndet, der Böse? Warum genießt der, der der Regeln nicht einhält, ein höheres Ansehen, als der, der dafür sorgt, dass sie gehalten werden? Der Ladendieb, der Einbrecher, der Brandstifter, der Sprayer soll (das fordert die Öffentlichkeit bis hin zur Todestrafe oder "Hände abhacken") für sein Vergehen zur Rechenschaft gezogen werden - aber der Raser ist ein "Opfer" von Staatswillkür?

Vielleicht liegt es daran, dass Polizei und Kommunen Pläne haben, nach denen pro Jahr so und so viele Euro aus Geschwindigkeitskontrollen einzunehmen sind. Das erweckt natürlich auch den Eindruck, dass hier dann bewusst und gewollt in die Tasche der Autofahrer gegriffen wird, dass "abgezockt" wird. Allerdings vergessen alle, die das vorwerfen, ein kleines, aber wichtiges Detail in dieser Diskussion: Jeder hat es selbst in der Hand, ob dieser Plan aufgeht. Diese Einnahmen können nur geplant werden, weil die Planer wissen, dass die Leute zu schnell fahren! Das ist aber ganz einfach, ganz schnell und problemlos für JEDEN (!) zu umgehen. Er muss sich nur an die Regeln halten, also nicht zu schnell fahren. Wenn das passiert, wird niemand mehr geblitzt, und die Polizei kann plakativ gesagt niemanden mehr "abzocken".

Jetzt kenne ich natürlich auch das Argument, Wegelagerei ist es unter anderem auch deshalb, weil an Stellen geblitzt wird, wo nichts geschehen kann. Dieses Argument zieht nicht, denn mit der gleichen Schlussfolgerung kann ich ja auch behaupten, Ladendiebstahl bei Aldi ist bei weitem nicht so schlimm wie im Tante-Emma-Laden, weil der angerichtete Schaden bei Aldi anteilmäßig bei weitem nicht so hoch ist wie bei Tante Emma. Einer solchen Begründung kann ich allein schon deshalb nicht folgen, weil das bedeuten würde, dass man Verstöße nun auch noch danach beurteilen müsste, wer wo geschädigt würde.

Zweitens verschiebt diese Argumentation auch das Problem auf eine andere Ebene, nämlich die nach dem "Sinn" einer Geschwindigkeitsbegrenzung. Diese Frage darf man natürlich stellen, aber nicht so beantworten, dass man als Autofahrer sagt: "Hier sehe ich den Sinn nicht ein, also halte ich mich nicht dran, und wenn ich erwischt werde, sind die anderen Schuld, die sinnlose Regeln aufstellen!" Man darf nicht Ursache mit Wirkung verwechseln, und ich bleibe dabei: Geblitzt wird nur der, der zu schnell fährt. Hält er sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung (ob sie ihm nun passt oder nicht, ist ein ganz anderes Thema), passiert ihm nichts. Und ich bin überzeugt davon: Wer an Punkt A zu schnell fährt, wo er die Einschränkung für unsinnig hält, der fährt in der Regel auch an Punkt B zu schnell - und hier kann das lebenswichtig sein.

Fakt ist doch nun mal, dass auf den Straßen zu schnell gefahren wird und noch anderes mehr. Heute morgen bei mir: Ich fahre in einem Kreisverkehr; aus einer Einfahrt in diesen Kreisvekehr biegen vor mir zwei Autos ein - und beide hatten es relativ eilig. Der erste war noch gut weit weg, bei zweiten wurde es langsam eng, als er vor mir reinschoss. Reinschoss meine ich übrigens wörtlich; beide Autos hatten ordentlich Tempo drauf, was unter anderem auch daran lag, dass sie beim Einfahren in den Kreisverkehr kaum abbremsten. Recht flott ging es dann aus dem Kreisverkehr auf eine Straße, die in etwa 200 Meter Entfernung eine Ampel hat. Auf der Hälfte der Strecke schaltete diese Ampel auf Gelb, und dann geschah etwas, was mich doch überraschte. Dass der erste der beiden Wagen noch versuchte, über die Ampel zu kommen, und daher noch einmal richtig auf die Tube drückte, hatte ich erwartet - nicht aber der zweite! Aber nein: Beide gaben ordentlich Gas, beide rauschten bei Rot (!) über die Ampel, und da der zweite Wagen dafür mehr beschleunigen musste - immerhin war er ja weiter hinten, und die Ampel inzwischen schon dunkelkirschleuchtendrot, aber wir müssen ja noch drüber, egal ob was oder wer kommt - hing er dem ersten fast an der Stoßstange. Auf einer Strecke von 200 Metern hatten wir also eine Geschwindigkeitsüberschreitung, Überfahren einer roten Ampel und Nichteinhaltung des Sicherheitsabstandes! Und besonders erschreckend fand ich, dass der Fahrer des zweiten Autos eine Fahrerin war! Und zwar kein junges Küken, sondern eine 30- oder 40-something,also eine Frau in einem Alter, der man eigentlich Verstand und Verantwortungsbewusstsein unterstellt.

Interessant bei dieser Geschichte ist nun folgendes: Wenn ich sie erzähle, wird eine Reaktion sicherlich sein: "Diese Rowdys, bestrafen müsste man die, am besten Auto weg..." Würde ich nun einem, der mir sowas dazu sagt, dann vorhalten: "Moment mal, vorgestern bist du aber auch bei Rot über die Ampel...", käme als Antwort sicherlich: "Jaaaa, aber erstens ist sie gerade auf Rot umgesprungen, und zweitens ist die Gelb-Phase viiiiiel zu kurz, und drittens wäre eine Vollbremsung viel zu gefährlich gewesen, und außerdem hatte ich doch alles im Griff...." Oder anders ausgedrückt: Gerade beim Autofahren offenbaren viele Menschen ein seltsames Rechtsverständnis, das vereinfacht ausgedrückt folgendes aussagt: Die anderen müssen für etwas bestraft werden, was ich mir erlauben darf, denn ich kann es ja besser und außerdem liegt der Fall bei mir ja ganz anders...

Berufsmäßig bekomme ich immer mal wieder zu hören, dass Bürger bei der Polizei Geschwindigkeitskontrollen fordern, um Raser auf den Straßen vor ihren Häusern zur Verantwortung zu ziehen. Speziell wenn es sich um Straßen in Wohngebieten handelt, macht das die Polizei recht ungern, weil sie weiß: Die meisten, die dort wegen zu schnellem Fahren erwischt werden, sind die Anwohner selbst, also die, die sich über Raser beschwert haben und nun die Polizei als Wegelagerer beschimpfen. Im Schnitt sind bis zu 90 Prozent aller erwischten Temposünder in solchen Straßen Anwohner. Ein mir bekannter Polizisten erzählte mir einmal, der grandioseste Satz, den er bei einer solchen Aktion von einem solchen erwischten Anwohner zu hören bekam, lautete wie folgt: "Die Fremden sollt ihr blitzen, nicht uns! Wir wohnen hier!"

Mal ehrlich: Wie kann man denn bei einer solchen Einstellung erwarten, dass sich am Gesamtproblem was ändert?

Meine Meinung ist diese: Wer in ein Auto steigt, ist eine Gefahr für andere. Das ist keine Beschimpfung oder eine Unterstellung, das ist so! Diese Gefahr ist auch recht groß, vor allem für andere Leute auf den Straßen, die nicht in Autos sitzen und daher keine Tonne Stahl oder so als Sicherheitskäfig um sich haben. Um diese Gefahr einzudämmen, gibt es Regeln: Verkehrsschilder, technische Vorschriften und eben auch solche Sachen wie kein Alkohol am Steuer oder eben Einhalten von bestimmten Geschwindigkeiten. Ist es denn wirklich zu viel verlangt, sich an letzteres auch zu halten? Oder einfach mal zuzugeben: Wenn ich zu schnell gefahren bin und geblitzt wurde, ist es meine Schuld oder eigene Doofheit und nicht die der Polizei?

Kann das der deutsche Autofahrer nicht? Einen Fehler zugeben?

Die Polizei würde nicht einen einzigen (!) Autofahrer blitzen und, wie Volkes Meinung ist, aus dem Hinterhalt heimtückisch erwischen, wenn diese sich an die Regeln halten. Und dass das was bringt, zeigt folgendes Beispiel: Vor Jahren wurde in Brandenburg der so genannte Allen-Erlass in Kraft gesetzt. Er sagt aus, dass an den Alleen - wo die Folgen von Unfällen wegen der Bäume, die dicht an der Straße stehen, erfahrungsgemäß deutlich schwerer waren - durchgängig Tempo 80 statt 100 gilt. Dieses Limit wurde auch rigoros überprüft - der Deutsche hält sich ohne Zwang eben nicht an Geschwindigkeitsbegrenzungen. Und das führte dazu, dass auf einem Straßenabschnitt der Bundesstraße fünf zwischen Berlin und Friesack die Zahl der Unfalltoten von ich glaube 13 in einem Jahr auf Null im nächsten gesunken ist!!!

Ich denke, dass hier dringend ein Umdenken erforderlich ist, und zwar beim Autofahrer. Ob ihm die Regeln gefallen oder nicht, es gibt sie, und wenn er für sich entscheidet, sie nicht einzuhalten, dann muss er mit Konsequenzen rechnen. Kommen diese, ist es aufgrund seiner Entscheidung auch seine Schuld und nicht die der Kontrolleure (kein Mensch sagt bei einem auf frischer Tat ertappten Einbrecher: "Der Arme, jetzt haben ihm die Bullen aufgelauert!" - na gut, seine kriminellen Freunde sagen das...).

Ich weiß, dass ich mit diesem Essay nichts ändern werde, und ich weiß, dass ich die Leser auch nicht überzeugen werde, aber bitte, liebe Leute, denkt nur einen Moment drüber nach: Ist es denn so schwer zu kapieren, dass man einfachsten dadurch dem Blitzen entgeht, indem man sich ans Tempo hält? Egal wann und wo? Und wieso kann man nicht einfach mal einsehen: Wenn ich hier Scheiße baue und erwischt werde, dann ist es meine Schuld und nicht die desjenigen, der mich beim Scheiße bauen erwischt hat?

PS: Ich bin vor kurzem auch geblitzt worden. Und ich habe mich sehr geärgert - über mich! Ich kenne die Straße, ich weiß, dass da gern geblitzt wird, und dann passiert mir das doch... Ich Trottel...

Keine Kommentare: