Mittwoch, 19. Oktober 2011

Unfassbarer Unfall - und die Moral von der Geschicht?

Diese Nachricht hat bestimmt jeder mitbekommen. Ein zweijähriges Mädchen wird in der chinesischen Stadt Foshan von einem Transporter überrollt, obwohl der Fahrer die Sache hätte bemerken müssen. Er hielt sogar  kurz an, fuhr dann aber weiter und überrollte das Kind auch mit dem Hinterreifen. Minutenlang lang das Würmchen auf der Straße, und niemand half, obwohl es genug Passanten gab. Schließlich fuhr ein zweiter Wagen über das Kind, obwohl der Fahrer garantiert sah, dass da was liegt - immerhin betätigte er sogar die Lichthupe. Wieder vergingen Minuten, in denen das Mädchen in seinem Blute lag. Erst die neunzehnte (!) Passantin half.

Ob das Kind überleben wird, ist fraglich.

Ich fühle bei solchen Nachrichten nur ohnmächtige Wut, schieres Entsetzen und grenzenlose Fassungslosigkeit. Ein Kind, das kostbarste, was es auf der Welt nur gibt, muss vermutlich sterben, weil gleichgültige, herzlose und ängstliche Mitmenschen die Hilfe verweigerten. Ja, ängstliche Mitmenschen: Offenbar wurden in der Vergangenheit in China schon selbstlose Helfer von den Unfallopfern verklagt und sogar schuldig gesprochen. Das ist keine Entschuldigung, aber es wirft einen bezeichnenden Blick auf die Gesellschaft.

In China ist nach diesem Vorfall eine gewaltige Debatte in Gang gekommen: Wie konnte es in einem Land mit seiner 5000-jährigen Geschichte nur so weit kommen. Und auch in Europa wird rege diskutiert: Die herzlosen Chinesen, wie können die nur, das kommt davon in einem Land, in dem der Konsum regiert und die Kommunisten das Sagen haben, und überhaupt, die Eltern, die haben ja auch Schuld, einfach schlimm... Nachdem ich solche und ähnliche Kommentare in einem Forum las, musste ich erst einmal nachdenken. Sind wir denn hier in Deutschland besser? Leider glaube ich das nicht. Uns ist bislang nur ein solches Video erspart geblieben (auf das ich NICHT verlinke). Aber ansonsten...

Beinahe wöchentlich erreichen uns Nachrichten, dass in Berlin Menschen in der U-Bahn und auf Bahnhöfen zusammen geschlagen werden. Manchmal gibt es Zeugen - helfen tut kaum jemand. Gedankenlosigkeit? Gleichgültigkeit? Angst? Wie oft lesen wir in der Zeitung, dass Hausbewohner erst etwas vom Ableben eines Nachbarn erfuhren, als der Gestank ins Treppenhaus waberte? Beim Blick in die Fernsehkameras macht sich dann Betroffenheit breit: "Wir haben den ja schon lange nicht gesehen..." Aber sich mal für ihn interessieren? Nicht wenige Menschen, die auf einen Unfall zukommen, greifen zuerst zum Video-Handy, damit sie später was bei Youtube einstellen können, anstatt zu helfen. Und man muss gar nicht so weit gehen: Leider sieht man allzuoft Bettler auf der Straße sitzen - wir alle haben inzwischen ein bemerkenswertes Talent dafür entwickelt, so etwas gar nicht erst zu bemerken! (ich rede nicht davon, jedem etwas zu geben, aber wir übersehen sie einfach! Sie sind eigentlich gar nicht da!)

Und auch in Deutschland gibt es immer wieder Geschichten von verwahrlosten Kindern in verdreckten Wohnungen, geschlagen, hungrig, heruntergekommen... manchmal tot. Auch dann gibt es jedesmal den Aufschrei: Da muss man doch was tun! Da muss das Amt doch einschreiten! Wieso tut keiner was? Die traurige Realität sieht wieder etwas anders aus. Ämter werden oft auf solche Vorkommnisse hingewiesen - meist aber anonym mit der Begründung: "Ich sage Ihnen meinen Namen nicht, die schlagen mich tot, das sind doch alles Verbrecher..." Die meisten sehen nicht mal etwas (oder wollen nichts sehen). Ämter, die eingreifen, werden oft genug angegriffen: "Ihr Sesselfurzer, wieso nehmt ihr den Eltern ihre Kinder weg?" Oft sind das die gleichen Menschen, die unter anderen Voraussetzungen sagen: "Wieso nehmen die Ämter denen die Kinder nicht weg? Wenn da was passiert, sind die Schuld!" Lehrer, die sich zu sehr um ihre Schüler kümmern, kriegen nicht selten Schwierigkeiten mit den Eltern - und dabei geht es nicht darum, ob der Lehrer Recht darum, sondern darum, dass er sich bitte schön aus der Erziehung heraus halten soll, die geht ihn nix an, sondern nur die Eltern.

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

Sind wir besser als die Chinesen? Oder als irgendjemand anders auf der Welt?

Ich kann die Frage nicht beantworten. Was ich aber weiß, ist, dass wir besser werden können, als wir jetzt sind. Jeder von uns. Wir müssen es nur wollen.

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