Montag, 29. April 2013

Wer rechnet denn mit so etwas?

Normalerweise ist man am frühen Morgen im Zug oder in der Straßenbahn eher mit sich selber beschäftigt als mit dem Nebenmann. Noch ein kleines Nickerchen halten, krampfhaft wach werden, die Gedanken sammeln oder mehr. Das Höchstmaß an Kommunikation besteht - sofern man nicht neben einem Bekannten sitzt - im grummelig gemurmelten Dialog mit dem Schaffner. Und bloß keinen Unbekannten anreden! Augenkontakt vermeiden, eng zusammengekauert auf dem Sitz hocken oder ruhig in einer Ecke auf dem Bahnsteig stehen, soweit weg von den anderen wie es geht. Lass alle in Ruhe, dann wirst du auch in Ruhe gelassen.

So halte ich es normalerweise auch. Um die Zeit möchte ich noch keine Unterhaltungen mit Wildfremden führen. Es sei denn, es bittet mich jemand um eine Auskunft, etwa wann der nächste Zug fährt oder von welchem Bahnsteig. Da helfe ich gerne und fühle mich auch etwas geschmeichelt: Von allen grummeligen Morgenmuffeln auf dem Bahnhof bin ich offenbar noch der am nettesten aussehendste und verströme außerdem wohl noch eine Aura an Kompetenz. Doch so eine Begegnung wie heute morgen hatte ich noch nie und hätte sie auch nie erwartet.

Wie immer an jedem Montagmorgen stand ich schlaftrunken und mit einem Plastikbecher voll heißem und schon etwas abgestandenem Kaffee auf dem Bahnsteig und schaute mit halb herunterhängenden Augenlidern in die Welt, als mich eine junge Frau ansprach - auf Englisch. Das kommt überraschend. Vielleicht nicht in Berlin oder in Frankfurt am Main oder in Hamburg oder in Dresden - aber in Brandenburg schon. Ich habe meine Überraschung aber schnell abgeschüttelt, kramte in meinem Sprachschatz und fragte höflich - auf Englisch - wie ich helfen kann.

Die Frau sah mich nun ihrerseits überrascht an, was ich zuerst darauf zurückführte, dass sie wohl nicht damit gerechnet hatte, am frühen Montagmorgen auf dem Bahnhof in Brandenburg einen netten Deutschen mit passablen Englischkenntnissen anzutreffen. Das war jedoch eine Fehlinterpretation meinerseits, denn wie ich an dem Zettel, den sie mir unter die Nase hielt, erkennen konnte, war sie Italienerin. Und wie ich weiter bemerkte, waren ihre Englischkenntnisse mit der Anrede erschöpft.

Ich hatte also am frühen Montagmorgen in Brandenburg auf dem Bahnhof eine Hilfe suchende Italienerin vor mir, die kein Deutsch und kaum Englisch konnte. Ich wiederum kann kein Italienisch. So eine Begegnung hätte ich mir in Brandenburg auf dem Bahnhof am frühen Montagmorgen nicht mal im Traum vorgestellt.

Irgendwann bekam ich aber heraus, dass sie nach Berlin wollte, den einen Zug verpasst hatte und nun nicht weiter wusste. Ich machte ihr klar, wann sie den nächsten nehmen konnte, nämlich 20 Minuten später. Sie lächelte und bedankte sich, also nahm ich an, dass sie mich verstanden hat.

Komischerweise verließ sie aber zwei Minuten, bevor der Zug kam, den Bahnsteig.

Nun bin ich ein bissel unsicher, ob sie alles verstanden hat, was ich ihr gesagt habe, oder ob ich sie nicht versehentlich zu einer Dampferrundfahrt über den Mittellandkanal geschickt habe. Mit ein paar Brocken Italienisch meinerseits wäre uns beiden sicherlich mehr geholfen gewesen. Wer rechnet aber auch schon damit, am frühen Montagmorgen auf den Bahnhof in Brandenburg von einer jungen Italienerin auf Englisch, was die gute Frau nicht konnte, nach dem Weg gefragt zu werden?

2 Kommentare:

RoM hat gesagt…

Der Homo malus hätte wohl sicher mit der Einsicht aufgetrumpft "dafür gibt es eine App!".

Warum das Mädel ging? Möglich wäre ein natürliches Bedürfnis; die Blase meldet sich ja öfter zu ungünstigen Momenten.

Eindeutig unmißverständlich wären ja die Abfahrtpläne der Bahn. "Berlin" und der Finger auf die Abfahrtzeit.
So der Verein die Infokästen noch nicht wegrationalisiert hat. ;-)

Immerhin, Du hast die Woche mit einer Freundlichkeit begonnen!

Unknown hat gesagt…

Die Infokästen gibt es noch - und am lustigsten finde ich die Comic-Plakate, die einen Maulwurf mit allen möglichen Werkzeugen bei allen möglichen Verrichtungen zeigt. Auf die Weise will uns die Bahn sagen, dass mal wieder richtig dolle gebaut wird. Und der lustige Maulwurf soll wohl davon ablenken, dass mit diesen Bauarbeiten jede Menge Fahrplanverschiebungen, Zugausfälle und Umleitungen verbunden sind.

Aus vielen Unterhaltungen vor diesen Infokästen, die ich oft mit anhören kann, weiß ich, dass diese Ablenkungstaktik nicht funktioniert.