Donnerstag, 9. Mai 2013

"Unbesiegbar" zum Lesen

Der Unbesiegbare
Mitunter greife ich mal wieder zu Büchern, die ich schon sehr lange nicht mehr gelesen habe. Für gewöhnlich ist das so, als wenn man einen alten Bekannten wieder trifft: Grob gesagt weiß ich, worauf ich mich einlasse, aber viele kleine Details sind mir einfach nicht mehr geläufig. Anders gesagt, ich werde zwar nicht wirklich überrascht, aber es macht immer wieder Freude, alte Erinnerungen aufzufrischen. Das war dieses Mal seltsamerweise anders.

Ich habe mir mal wieder Stanislaw Lem angetan, genau gesagt sein Buch "Der Unbesiegbare" von 1964. An sich hatte ich das Werk immer als eines derjenigen im Kopf, das nicht so naiv wie beispielsweise "Planet des Todes", aber auch nicht so philosophisch-anspruchsvoll wie sagen wir mal "Solaris" war. Ich meinte mich an eine Art spannende kosmische Kriminalgeschichte zu erinnern, bei der es sogar zu so etwas wie Action kam, aber durchaus auch zum Nachdenken animierte. Beim nunmehr erneuten Lesen stellte ich dann etwas Unerwartetes fest: Ich habe mich zwar im Großen und Ganzen recht genau und gut an das Buch erinnert, aber ich entdeckte auf einmal, dass es einen tieferen Sinn hatte, den ich damals nicht einmal bemerkte. Als ich es zuletzt las, muss ich irgendwie um die 14 oder 15 gewesen sein, und ich bin nun der Meinung, ich habe es damals einfach nicht richtig verstanden. Streng genommen bin ich mir nicht sicher, ob ich es heute tue.

Kurz zur Handlung: Das Raumschiff "Unbesiegbarer" wird zu einem einsamen Planeten geschickt, wo das Schwesterschiff "Kondor" vor einem Jahr oder so kurz nach der Landung verschollen ist. Unter größten Vorsichtsmaßnahmen landet das Raumschiff, macht einige mehr oder weniger nichtssagende Entdeckungen und entdeckt dann das Unglücksschiff mit seiner toten Besatzung. Die Rätsel werden aber zunächst größer: Der "Kondor" ist völlig intakt. Die Mannschaft scheint verhungert, obwohl die Vorratslager voll sind. Für eine Vergiftung gibt es keine Anzeichen - was immer den Kondor traf, kam unerwartet, plötzlich und unabwendbar, der Planet erscheint aber biologisch nahezu tot und ist definitiv unbewohnt. Die Mannschaft des "Unbesiegbaren" tappt im Dunkeln, bis auch seine Besatzung eine Begegnung mit dem Mysterium hat: Die Menschen sind auf den Sieger eines unheimlichen Krieges gestoßen, der vor tausenden, wenn nicht Millionen Jahren auf dem fremden Planeten tobte...

Das wirklich Interessante an Lems Werk ist ja, dass es man es konsumieren und interpretieren kann, die Interpretation aber keine so einfache Angelegenheit ist. So auch hier: Ich habe das Buch gelesen, so wie als Teenager auch, und hatte auch die Handlung wieder vor mir, so wie damals. Ich bin mir nun aber sicher, das Lem uns mit dem Buch etwas sagen will. Und das will er garantiert, da habe ich bei ihm keinen Zweifel. Nur was? Sicherlich nicht das, was der Verfasser des Nachwortes meinte erkannt zu haben. Ich weiß leider nicht, wer dieses Nachwort schrieb, es ist nicht unterzeichnet. Aber es steht in der "Volk und Wissen"-Ausgabe von 1968 und strotzt vor Beweihräucherung der wunderbaren sozialistischen Science-Fiction-Schriftstellern, die ja so viel besser, intelligenter und was weiß ich nicht noch alles als die Produkte ihrer westlichen Kollegen, die - ich zitiere - "oft Mißbrauch mit der wissenschaftlich-utopischen Literatur getrieben" haben.

Ich bin mir sicher, dass eine Gegeneinanderabwägung der Ideologien nicht in der Intention Lems lag, und wenn doch, bin ich mir nicht sicher, wie das Ergebnis aussehen würde (wer anderer Meinung ist, sollte mal die Geschichten rund um den Piloten Pirx aufmerksam lesen).

Was ist aber nun mit dem "Unbesiegbaren"? Auf den ersten Blick natürlich eine spannende Geschichte, die wie schon erwähnt sogar etwas Action aufweist. Dahinter steckt aber natürlich auch ein Hintergedanke, und der ist genau betrachtet ein Klassiker in der Science Fiction: Wie besiege ich etwas, was schon tot ist? Das Thema ist aus "Terminator" ja schon bestens bekannt, oder aus "Colossus", und auch Lem nimmt sich der Sache an, wenngleich natürlich sehr viel intelligenter als zum Beispiel Cameron. Aber ab jetzt wird es hier nämlich wirklich interessant: Den Menschen gelingt es nicht, ihren toten Gegner - eine spezielle Art von winzigen Automaten - zu besiegen oder sich mit ihnen zu arrangieren, im Prinzip bleibt ihnen nichts weiter als abzufliegen: Das Rätsel ist zwar gelöst, aber die Situation keineswegs geklärt. Der "Gegner" kann nicht besiegt werden, es sei denn, der ganze Planet wird vernichtet.

Theoretisch eine klassische Dystopie - aber sie liest sich in keinster Weise so! Die Menschen verlieren streng genommen den Kampf - aber es kommt kein Gefühl einer Niederlage auf! Im Gegenteil: Trotz vieler Toter und der Erkenntnis, dass nichts als Flucht bleibt, gibt es am Ende so etwas wie Optimismus. Warum und wieso - nun, das kann der Leser selbst für sich entscheiden. Und dass dieses Buch so gut funktioniert, habe ich erst jetzt bemerkt. Ich erinnerte mich wie gesagt an eine Geschichte, die einen Teenager fesselte, und stelle fast 30 Jahre später, dass das Buch daneben auch eine sehr anspruchsvolle Metaebene hat.

Und so etwas schafft nur ein sehr guter Autor.

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